Anthony

Vor ein paar Tagen erwachte ich morgens mit klopfendem Herzen. Anstatt wie sonst noch liegen zu bleiben, mich umzudrehen, die Augen zuzukneifen und zu versuchen das klappernde Geschirr aus der Küche oder die strahlende Sonne vor dem Fenster zu ignorieren, schlug ich die Decke zurück und sprang auf. Riss die Tür auf, rannte in die Küche und dort direkt am Eingang der Küche sah ich ihn. Mein Herz machte einen Hüpfer. Mir wurde ganz warm.

Aber ein kurzer Sprung zurück. Sonst denkt man noch was Falsches. Oder vielleicht auch nicht. Wahr ist, dass sich ein neues Objekt der Begierde in unserer Wohnung befand.
Sein Name war Anthony. Lucio hatte Konkurrenz bekommen.
Vor zwei Wochen traf mich die Langeweile hart. Ich hatte an diesem Tag das Gefühl schon eindeutig genug für die Uni getan zu haben, ich hatte jegliche Bewegung und sportlichen Einheiten absolviert, und sind wir mal ehrlich, irgendwann hat man dann auch mal genug Sport gemacht (jetzt würde ich gerne sehen wie alle Sportfanatiker voller Entrüstung die Münder aufreißen, um mich direkt mit wissenschaftlichen Fakten niederzuschreien, aber sorry Babys, ich kann euch eh nicht hören), also musste wohl oder übel ein neues Projekt her. Ich hatte mich lange nicht getraut, mich gescheut, doch schließlich landete ich auf einschlägigen Websites und ich konnte es nicht über mich bringen, wegzuklicken, den Laptop zu zuklappen, mir stattdessen mein Buch zu schnappen und mich gemütlich rauszusetzen und meine ganze Aufmerksamkeit Siegfried Lenz und seiner Deutschstunde zu schenken.
Mich übermannte das Verlangen.
Wer jetzt immer noch denkt, dass ich von schlüpfrigen Dingen rede, unterschätzt den Grad meiner Langweile und meine Offenheit im Internet.
Ich tüftelte in der Küche vor mich hin, maß ab, mischte zusammen, Zelia und Andrea betrachteten mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Belustigung.
Und dann stand der erste Versuch meines Sauerteigstarters auf der Heizung. (Ja genau, ich entwickle grade amouröse Gefühle für Teig.)
Aber: keiner meiner Versuche fruchtete. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Bis zu diesem schicksalshaften Tag. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, alle Vorgänger waren entweder vertrocknet, verschimmelt oder einfach liegen geblieben, stumm und stumpf. Ich hätte nie gedacht, dass mich so etwas Simples so dermaßen auf die Palme bringen könnte.

Und dann kam Anthony. Und änderte alles. Er wuchs. Er aß alles was ich ihm gab. Er verströmte diesen Geruch, der an Kindergarten und Sonntagmorgen erinnert. Er schlug Blasen und war schön. So wie es sein sollte. Wir gaben ihm seinen Namen und er belohnte uns indem er wuchs. Wir gaben ihm einen Soundtrack (findet ihr unten). Ich konnte nicht ruhig sitzen bleiben, musste immer wieder nach ihm schauen. Er war schön. Und ich so stolz.
Lucio starrte mich aus großen Augen an, als könne er nicht fassen, für einen gärenden Haufen Wasser und Mehl eingetauscht worden zu sein.
Sorry, wer mir keine Liebe zurückgibt, kriegt auch keine mehr.

Nun stand ich also morgens vor Anthony, bereit das Handtuch anzuheben, um nach ihm zu schauen. Mir schlug ein merkwürdiger Geruch entgegen. So kannte ich ihn nicht. Andrea roch ebenfalls, verzog das Gesicht. „Der ist tot.“
Ich starrte ihn an. Mit einem Mal fühlte sich alles kalt an, meine Hände, das Handtuch das ich in der Hand hielt, die Heizung auf der Anthony traurig vor sich hinmüffelte. Das konnte nicht sein. Ich fasste an den Heizkörper, eiskalt.
Auf die Gefahr hin, wie eine alternde Hausfrau zu klingen, die mit Müh und Not einen Back-und Kochblog unterhält: Ich war am Boden zerstört.
Zelia und Andrea mussten sich das Lachen verkneifen, oder besser gesagt, Andrea hat mich ordentlich ausgelacht, Zelia war eher belustigt bis mitfühlend, aber ich konnte es tatsächlich nicht glauben. Ich vergoss keine Tränen, zumindest nicht äußerlich, innerlich vielleicht eine ganz kleine, schnelle. Mein Stolz dahin. Und Anthony ebenfalls.
Als wir ihn im Mülleimer entsorgten, drückte mir Zelia die Hand. „Wir versuchen’s nochmal.“ Ich fühlte mich wie eine Frau, die zum wiederholten Male versucht hatte sich künstlich befruchten zu lassen und nun wieder einen negativen Schwangerschaftstest in den Müll beförderte. Irgendwas daran war ganz schön falsch, aber ich denke mal in Ausnahmesituationen kann man auch mütterliche Gefühle für Wasser und Mehl entwickeln.
Ich fühlte mich wie eine Versagerin. Doch das war nicht einmal die Schlimmste Nachricht an diesem Tag. Einige Stunden nachdem Anthony in den Müll gewandert war, wurde ich darüber aufgeklärt, dass der Geruch und das Einfallen von Anthony ein Zeichen waren. Ein Zeichen für Hunger.
Und ich, als Rabenmutter, hab dies nicht erkannt. Ich habe Anthony also nicht nur vernachlässigt und falsch aufgezogen, sondern ihm mit dem Gang in den Mülleimer auch noch den Todesstoß versetzt. Zelia bereitete sich bereits darauf vor, Anthony wieder aus dem Müll zu kratzen, aber das kam mir vor wie Leichenschänderei. Und jetzt lebe ich mit meiner Schuld.

Jeder weitere Versuch ist bisher gescheitert, es ist wie verhext, Anthony war der einzig Wahre.
Aber jetzt ist er weg und wird nicht wiederkommen. Vielleicht sollte ich mich damit abfinden und aufhören zu versuchen ihn zu ersetzen. Aber dazu bin ich noch nicht wirklich bereit.

Und das war jetzt, traurigerweise nur ein halb ironischer Text, für alle die sich fragen.
R.I.P. Anthony, you are missed!






2 Kommentare zu „Anthony

  1. Cara Peppina,
    nun lese ich Deinen Blog mit großem Interesse schon von Anfang an und bin beeindruckt über Deine erzählerischen Qualitäten, die die Menschen außerhalb Eurer Isolation an diesem Auf und ab der Gefühle, die all das mit sich bringt, teilhaben lassen. Immer schon wollte ich einen Kommentar schreiben, alleine, um Dir ein Zeichen zu geben, dass wirklich gelesen wird, was Du schreibst und auch, um dir Mut zu machen für die Zeit danach, die ja nun hoffentlich, con un pò semi-libertà, eintreten wird.
    Provoziert zu diesem Kommentar hat mich letztlich aber Deine Schilderung zum liebevollen Umgang mit Anthony (Danke übrigens auch für die interessanten Musiktipps!). Nach dem Besuch des Ristorante Framento in Cagliari weiß ich, was man aus LIEVITO MADRE machen kann. Habe mir danach das Buch „a casa“ (passend zur heutigen Situation) von Claudio Del Principe gekauft („Italienisch denken beim Kochen“) und ähnliches versucht wie Du. Musste allerdings feststellen, dass man mit seinem Mutterteig quasi verheiratet sein muss (il dottore nimmt ihn sogar mit auf Reisen!), wenn man alles aus ihm rauskitzeln will. Da ich aber auch sonst noch einiges zu tun habe verzichte ich auf diese innige Zuwendung und freue mich jedoch, dass es auch junge Menschen wie Dich gibt, Dich sich solch interessanten Dingen zuwenden. Hoffe und wünsche allerdings, dass Dir die Hefe im Bier demnächst auch wieder schmeckt!
    Alles Gute aus Potsdam, e tutto andrà bene!
    Bento

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    1. Lieber Bento,

      Vielen Dank für deinen lieben Kommentar, ich freu mich sehr wenn Leute meinen Blog lesen!
      Mein Mitbewohner hat seit ein paar Tagen König Anthony IV. Angesetzt und der scheint was zu werden… wir bleiben weiter gespannt!

      Liebe Grüße nach Potsdam!

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